Im Zeitalter der Information ist Ignoranz (d)eine Wahl
Im Zeitalter der Information ist Ignoranz (d)eine Wahl
Heutzutage werden wir tagtäglich mit einem unglaublichen Informationsgehalt bespielt; durchschnittlich konsumieren wir 100.000 Wörter Informationen am Tag.
Natürlich wollen wir uns da nicht alles merken, können wir auch nicht. Wir arbeiten schließlich mit einem Gehirn, das dafür gebaut wurde, komplexe Werkzeuge herzustellen, Nahrung zu sammeln und in kleinen sozialen Gemeinschaften zu leben.
Wie kommt unser Gehirn also heute mit dieser unglaublichen Informationsmenge zurecht? Wie entscheiden wir, was wichtig ist und was wir getrost ignorieren können?
Der Google-Effekt
Nach dem Aufstehen WhatsApp, News in der Bahn, E-Mails auf der Arbeit. Was davon merken wir uns eigentlich? Theoretisch ist ja alles immer wieder abrufbar – ausgelagertes Wissen sozusagen.
Da wir wissen, dass wir alle Informationen theoretisch immer online abrufen können, speichern wir diese oft im Gehirn nicht ab. Neuerdings weitet sich die digitale Amnesie (oder Google-Effekt) auch auf unsere persönlichen Erinnerungen aus. So kennen die meisten von uns noch ihre Haus-Telefonnummer aus der Kindheit, aber nur 29% die Nummer Ihrer Kinder.
Aber das ist ja eigentlich gar nicht mal so schlecht. So bleiben uns mehr Kapazitäten für das was wir besonders gut können: Denken.
Das Auslagern von Wissen in unsere Hosentasche ermöglicht es uns, das gesamte Wissen unserer Spezies jederzeit einzusetzen und neues Wissen zu generieren. Das gepaart mit dem technologischen Fortschritt führt dazu, dass sich im Jahr 2020 das menschliche Wissen alle 12 Stunden verdoppeln wird.
Deine Zeit wird knapp
5,2 Milliarden Mobilgeräte sind jeden Tag in Benutzung, von morgens bis abends füllen wir jede freie Minute damit. Langeweile ist kein Problem mehr, es ist quasi zum letzten Privileg eines frei-denkenden Geistes geworden.
Der größte Wachstumshemmer der Tech-Giganten (Google, Amazon, Facebook, Apple) ist nicht mehr der mangelnde Verkauf neuer Geräte, sondern dass die Zeit der User zunehmend belegt ist. So wird zum Beispiel hoffnungsvoll auf das autonome Fahren geschaut.
Überlegt mal, wenn wir vom Fahrer zum Mitfahrer werden, haben wir auf einmal super viel dazugewonnene Zeit. Und wer ist am meisten an dieser freien Zeit interessiert? :)
Es wird also immer wichtiger, gezielt Informationen anzunehmen und abzulehnen. Diesen Vorgang im Gehirn nennen wir selektive Ignoranz.
Selektive Ignoranz
Jede Sekunde prasseln zigtausende Einheiten von Information auf uns ein. Wir sehen, hören, fühlen und schmecken. Wenn wir dem allen konstant ungefiltert ausgesetzt werden, würden wir wahnsinnig werden, so viel kann unsere Wahrnehmung nicht verarbeiten. Unser Gehirn filtert deshalb unwichtige Dinge raus und wir nehmen nur das war, was wichtig ist.
Testet bei euch selbst mal die selektive Ignoranz mit diesem kleinen Video: Mörderexperiment
Oder das klassische Affenexperiment. Hier bemerkt nur jeder zweite, dass ein Gorilla auf dem Video zu sehen ist.
Wir blenden die Informationen aus, die nicht zum Erreichen unserer Ziele benötigt werden. Das macht uns auf der einen Seite effizienter, auf der anderen Seite gehen jedoch womöglich wichtige Informationen verloren.
Bewusste Ignoranz
Bei der Flut an Ablenkungen wird es immer schwieriger sich auf eine Sache zu fokussieren. Die meisten Leute schaffen es nicht einmal, einen Blogartikel zu lesen. Statt an dem eigenen Fokus zu arbeiten, empfehle ich deshalb, am Ignorieren zu arbeiten.
Ganze 95% unserer Entscheidungen treffen wir unterbewusst, also auch was wir ignorieren und was wir aufnehmen. Lassen wir unserem Gehirn Freilauf, wird es immer die Informationen ausblenden, die nicht mit unserem Weltbild übereinstimmen. Dieser psychologische Effekt wird “confirmation bias” genannt.
Wir bestätigen einfach gerne unser Leben und fühlen uns pudelwohl in unserer kleinen Bubble. Warum sollten wir googeln “welcher ist der beste Filme aller Zeiten?”, wo wir doch genau wissen, dass es “Der Herr der Ringe” ist. Wir googlen also stattdessen lieber “ist der Herr der Ringe der beste Film aller Zeiten?”.
Wir hören, was wir hören wollen. Doch diese Ausrede zählt heute nicht mehr. Ein Faktencheck war noch nie so einfach wie heute.
Der Anspruch ist nicht, perfekt zu sein, dafür sind wir nicht gemacht. Würden wir jede unserer Entscheidungen bis ins letzte Detail abwägen, könnten wir nicht überleben. Doch uns muss bewusst sein, dass wir immer eine Wahl haben. Wir können jederzeit mit einem schnellen Griff zum Smartphone das gesamte Wissen der Menschheit abrufen.
Tun wir das nicht, haben wir uns trotzdem entschieden – für die Ignoranz.
Fazit
Die Welt wird immer schneller, voller und unkontrollierbarer. Jeden Tag müssen wir uns aufs Neue überlegen, welchem Weltbild wir folgen wollen und welche Information wir ignorieren bzw. aufnehmen möchten.
Unser Gehirn hat gegen das tägliche Bombardement an Information einige ausgeklügelte Mechanismen entwickelt. Viele unserer Glaubenssätze sind dadurch aber nicht mehr von Fakten geprägt, sondern wir folgen einfach blind dem, was uns vorgegeben wird.
Beobachte mal, wie du selektiv wahrnimmst, selektiv ignorierst und inwiefern du immer wieder deine eigene Weltanschauung bestätigen möchtest.
Welche Möglichkeiten fallen dir ein, um deine Werte und Glaubenssätze zu reflektieren, zu hinterfragen und auf ihre Richtigkeit zu prüfen?