Warum ist es gut, dass der freie Wille eine Illusion ist?

29. April 2020|Mindset|
Neuronaler Determinismus freier Wille Illusion

Warum ist es gut, dass der freie Wille eine Illusion ist?


Würdest du einen Film auch anschauen, wenn du die Handlung schon kennst?

Das tolle an Filmen ist ja, dass sie dich mitreißen, sie dich vergessen lassen, dass du gerade zusammengeschnittene Videoaufnahmen von Menschen siehst, die Szenen nach einem Drehbuch schauspielern. Das Wissen über den Film schmälert die emotionale Erfahrung meist nicht. Auch alte Filme können wir uns immer wieder anschauen, da es nicht um das Wissen um den Film, sondern um die Erfahrung geht.

Was wenn ich dir sage, dass dein Leben auch ein Film sein könnte? Deine Geburt, deine Kindheit, die erste Liebe, Freunde, Kinder, alt werden.. Sterben – alles steht bereits in deinem persönlichen Drehbuch.

In diesem Beitrag möchte ich nicht das Rätsel um den Willen aufklären. Ich möchte dir Einblicke in den Stand der Wissenschaft, Philosophie und Gedankenanstöße geben.

Zu guter Letzt sage ich dir dann noch, wieso die Illusion des freien Willens ultimative Freiheit bedeutet.

Tee oder Wasser?

Ich trinke fast jeden morgen ein großes Glas Wasser oder einen Tee, immer eins von beiden. Heute morgen habe ich einen Tee getrunken, Schwarztee aus Ostasien. Hätte ich mich auch für das Glas Wasser entscheiden können? Klar, ich hatte die Freiheit meine Entscheidung meiner Möglichkeiten anzupassen.

Warum ich den Tee genommen habe? Ich kann nicht genau sagen warum, ich hatte einfach mehr Lust auf einen Tee als auf Wasser.

Habe ich mich bewusst dafür entschieden? Nein, die Entscheidung wurde für mich von Vorgängen in meinem Gehirn getroffen, die ich nicht untersucht oder beeinflusst habe. Ich habe meine Gedanken lediglich beobachtet und bin mir ihnen bewusst geworden.

Hat das menschliche Bewusstsein einen Startzeitpunkt?

Wenn wir über rudimentäre Gehirnfunktionalitäten sprechen, fangen wir immer gerne an, über Experimente mit Tieren zu reden.

Im pawlowschen Hund Experiment wurde einem Hund Essen vorgesetzt, er fing an Speichel zu bilden. Dann wurde das Essen vorgesetzt während ein akustischen Signal erklingt, eine Glocke. Das wurde so lange gemacht, bis der Hund Speichel bildete, wenn er nur die Glocke erklingen hörte, ganze ohne Essen. Die klassische Konditionierung von Verhalten.

Was uns unterscheidet von Tieren ist, dass mit der Evolution unsere Anpassungsfähigkeiten die Weiterentwicklung kognitiver Leistungen immer höher treiben konnten. Schicht für Schicht kamen neue Funktionen dazu.

Natürlich war es aber nicht so, dass eine zufällige genetische Mutation plötzlich menschliches Bewusstsein erschaffen hat. Bewusstsein ist emergent, es entsteht erst durch die elektromagnetischen Prozess im Gehirn.

Mit mehr Gehirnleistung kann ausgeklügeltes Bewusstsein entstehen, was aber nichts an der Funktionsweise ändert: Im Gehirn feuern Neuronen elektrische Signale an andere Neuronen.

Was sagt die Wissenschaft?

Das alles erklärt aber nicht, warum wir einen Bewusstseinserlebnis haben. Wir sehen nicht einfach eine bestimmte Wellenlänge die ins Auge trifft und vom Gehirn verarbeitet wird, wir sehen die Farbe Grün. Das ist unser Erlebnisgehalt, unsere Wahrnehmung dieser Signale im menschlichen Gehirn.

Die Studie “Unconscious determinants of free decisions in the human brain” ließ Probanden mit zwei Knöpfen alleine zwischen denen sie sich entscheiden konnten. Währenddessen waren sie mit einem EKG vernetzt, der ihre Gehirnaktivitäten gemessen hat.

Dabei kam heraus, dass das Ergebnis einer Entscheidung in der Hirnaktivität des präfrontalen und parietalen Kortex bis zu 10 Sekunden vor dem Eintritt in das Bewusstsein gelangen kann. Diese Verzögerung spiegeln den Betrieb eines Netzwerks unbewusster Kontrollbereiche wider, die beginnen, eine bevorstehende Entscheidung lange bevor sie bekannt wird, vorzubereiten.

Ist der freie Wille damit eine Illusion?

Zur Verdeutlichung des freien Willens möchte diese Kurzgeschichte mit dir teilen:

Realitäts-Split

Stell dir vor es gäbe ein Gerät, mit dem du die Realität in zwei aufsplitten könntest. Wie eine Gabelung, die zwei perfekt identische Versionen des Zeitstrahls unseres Universums erstellt – quasi zwei Parallelrealitäten. Zur Kommunikation besitzt das Gerät eine Videokamera und einen Bildschirm.

Die zwei erzeugten Welten haben die exakt gleiche Vorgeschichte. Jedes Teilchen des Universums befindet sich an der genau gleichen Stelle. Zum Zeitpunkt der Gabelung sind es zwei identische Realitätszwillinge. Solange sie nichts voneinander wissen, können sie sich auch nicht unterschiedlich entwickeln. Ohne dieses Bewusstsein, besteht keine Möglichkeit, zum asynchronen Ablauf der beiden Zeitstränge.

Was passiert nun, wenn wir eine Verbindung zwischen den Realitäten schaffen? Was passiert, wenn wir mit dem besagten Gerät zwischen den Realitäten kommunizieren? Du besitzt das Gerät in beiden Realitäten und kannst nun per Video mit dir selbst sprechen.

Das Problem: ohne einen asynchrone Trigger, wirst du einfach nur dein Spiegelbild sehen. Du wirst in der anderen Realität die genau gleichen Gedanken haben und die gleichen Bewegungen ausführen.

Sagen wir, der Hersteller des Geräts, hätte eine asynchrone Zeitverzögerung eingebaut, sodass sich die Übertragungsgeschwindigkeit zwischen den Realitäten unterscheidet. Erst jetzt können sich die Realitäten in zwei unterschiedliche Richtungen bewegen und du könntest ein echtes Gespräch mit dir selbst führen. Über was würdet ihr miteinander sprechen?

Die Geschichten ist übrigens eine von mir stark gekürzte Fassungen einer der Kurzgeschichten von Ted Chiang aus seinem Buch Exhalation.

Ist eine computergenerierte Zufallszahl echter Zufall?

Was bedeutet es also nun, wenn es keinen freien Willen gibt? Das würde ja bedeuten, dass alles vorhersehbar gewesen wäre und sein wird.

Was es Zufall, dass du geboren wurdest? Warum hast es gerade du in die Eizelle geschafft und nicht das Spermium neben dir?

In der Computertechnik wird schon lange versucht, echte Zufallszahlen zu generieren.

Computer basieren auf elektrischen Schaltkreisen aus purer Logik, Nullen und Einsen, an oder aus. Auch die Berechnung der zufälligsten Zahl ist am Ende des Tages eine kausale Berechnung mit Rechenweg und deshalb nicht zufällig.

Was möglich ist, sind Pseudozufallszahlen: Folgen von Zahlen, die durch statistische Tests als zufällig aussehend deklariert wurden.

Um einen Schritt näher an echte Unvorhersehbarkeit zu kommen werden physikalische Prozesse mit in die Rechnung integriert. Es gibt zum Beispiel Zufallsgeneratoren, die das Wetter mit einbeziehen. Da wir mit aktueller Technologie unmöglich das Wetter eindeutig vorhersagen können, können so auch für den Menschen nicht vorhersagbare Zufallszahlen generiert – z.B. für die Lotto-Zahlen.

Wir nutzen sozusagen unsere eigenen technologischen Grenzen um Zahlen zu generieren, die hinter diesen Grenzen liegen und deshalb für uns nicht vorhersehbar und damit zufällig sind.

Du kannst nie mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit wissen, was sich hinter einer verschlossenen Tür verbirgt (Schrödingers Katze Paradoxon). Erst mit der Beobachtung oder Messung des Geschehens hinter der Tür, kann es absolut bestimmt werden.

Ist also auch dein Tod kein echter Zufall?

Hatte ein Mörder einen freien Willen?

Eine weitere Implikation der Illusion des freien Willen ist die Schuldfrage.

Stell dir vor, du tauschst den Körper mit einem Mörder. Den ganzen Körper, also auch das Gehirn, Atom für Atom. Du wärst dieser Mörder, du wärst dann diese Person.

Es gibt dann keinen Extrateil in diesem Menschen, der sich dafür entscheiden könnte die Welt anders zu sehen oder dem Impuls zu töten widersetzen könnte.

Zu sagen, dass er sich auch anders entscheiden hätte können ist wie zu sagen, dass du dich auch anders entscheiden hättest können, diesen Artikel zu lesen.

Aber du hast es getan, warum? Weil du keine Wahl hattest.

Warum wollen wir unbedingt freien Willen haben?

Der Mensch fühlt sich oft so anspruchsberechtigt, als ob er etwas besonderes wäre. Aus Gesprächen habe ich den Eindruck bekommen, dass die Implikationen der Illusion des freien Willens in vielen Menschen Unbehagen auslöst.

Warum machen sie dann überhaupt etwas? Ist nicht alles sinnlos?

Unseren Leben Sinn zu geben scheint der einzige Sinn unserer Leben zu sein.

Den Willen frei festlegen bedeutet immer Kontrolle und keinen freien Willen haben dementsprechend Kontrollverlust. Unser Ego ist so sehr darauf bedacht, immer in Kontrolle zu sein und alles dafür zu, das eigene Überleben zu sichern. Mehr zur philosophischen Freiheit und der Rolle des Egos: Freiheit oder Sicherheit.

Ich glaube, dass das überhaupt nicht schlimm ist, keinen freien Willen zu haben. Es bedeutet nämlich, endlich die Kontrolle abgeben zu können!

Kein freier Wille, ein schöner Gedanke

Das menschliche Gehirn besteht aus ca. 100 Milliarden Nervenzellen, jede einzelne mit der Fähigkeit, hunderte Signale pro Sekunde zu anderen Nervenzellen auszusenden.

Ein Gedanke ist wie ein Gewitter im Kopf.

Dabei bist du nicht der, der das Gewitter kontrollieren oder sich vor ihm in Sicherheit bringen muss. Du bist das Gewitter.

Wie eine Symphonie in unserem Kopf – ein Tanz. Jeder von uns erfährt ihn anders, jeder tanzt eine andere Choreographie, alles ganz natürlich ohne sie kontrollieren zu müssen.

Fazit

Wissenschaft und Philosophie. Beide deuten immer wieder darauf hin, dass der freie Wille eine Illusion ist. Die kausalen Vorgänge unseres Gehirns, der neuronale Determinismus, lassen sich bisher nicht widerlegen.

Das erzeugt in vielen Menschen das Gefühl der Sinnlosigkeit ihrer Existenz.

Das es keinen Sinn gibt, zeigt uns doch aber auch die Sinnlosigkeit in allem Negativen, jedem Schmerz und jedem Leiden auf unserem Planeten.

Warum nehmen wir alles so ernst?

Wenn alles vorherbestimmt ist, sollte uns das nicht alle einander lieben lassen? Wir alle werden eines Tages sterben und doch gibt es so viel Schlechtes um uns herum. Wir sind letztendlich alle gemeinsam Protagonisten des Films unseres Universums.

Für mich fühlt sich der Gedanke, das Leben als Film anzuschauen, richtig befreiend an!

Als Zuschauer muss ich mich nicht mehr mit meinen Ängsten und negativen Gedanken identifizieren. Ich kann sie wie bei einem traurigen Film oder einem Horrorfilm beobachten, mitfühlen und dann ziehen lassen.

Ich muss mir keine Gedanken mehr darum machen, ob ich ein gutes Drehbuch schreibe oder es anders vielleicht besser gewesen wäre.

Ich muss gar nichts mehr, nur wahrnehmen und reines Bewusstsein erfahren.

Aber jetzt würde mich interessieren was du denkst, gibt es einen freien Willen? Hast du überhaupt eine Wahl, einen Kommentar zu schreiben oder nicht?

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